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Arabisches Filmfestival mit Fokus auf Palästinenser

Arabisches Filmfestival mit Fokus auf Palästinenser
Berlin Filmstill ALFILM Festival | BYE BYE TIBERIAS
Bild: Frida Marzouk, Beall Productions

"Um in Deutschland über Palästina zu sprechen, sollte man nicht mutig sein müssen", erklärten die Organisatoren des ALFILM (Arabisches Filmfestival Berlin) bereits bei der letzten Veranstaltung 2023. Ein Jahr später, vor dem Hintergrund des Krieges in Gaza, ist es eine umso größere Herausforderung, ein Festival auszutragen, das seinen Fokus auf palästinensische Stimmen legt. "Es fühlt sich eher wie eine unlösbare Aufgabe als wie ein Akt der Courage an," sagt Festivalchefin Pascale Fakhry. "Ehrlich gesagt fühlt es sich eigentlich wie Selbstmord an."

Das Team aber nimmt das Risiko auf sich. Das ALFILM Festival fand zum ersten Mal 2009 statt und hat sich inzwischen, so Fakhry, als die "größte Plattform für arabische Kultur in Deutschland" etabliert. Es findet vom 24. bis zum 30. April 2024 in Berlin statt.

Eine Frau steht vor einem bunten Wandbehang mit der Aufschrift "ArabFilmFestival" und lächelt Eine Frau steht vor einem bunten Wandbehang mit der Aufschrift "ArabFilmFestival" und lächelt
Pascale Fakhry leitet das ALFILM Festival Bild: Elizabeth Grenier/DW

"Alle sind extrem nervös", so Fakhry im DW-Gespräch. Zu dieser angespannten Atmosphäre haben im Vorfeld des Festivals eine Reihe von Vorfällen beigetragen.

So berichtet Fakhry, dass sich die Polizei bei einem der Veranstaltungsorte über das Event erkundigte, bevor das Programm im Kino ausgehängt wurde. Nachdem sie gehört hatten, dass dort ein arabisches Filmfestival stattfinden sollte, unterstellten die Behörden, dass an einer Veranstaltung, von der sie nichts wussten, etwas Verdächtiges sein müsse, so Fakhry.

Als der Kinobetreiber die Polizei darüber aufklärte, dass fünf andere Berliner Veranstaltungsorte ebenfalls Teil des Filmfestivals sind, dass es seit 15 Jahren stattfindet und dass das gesamte Programm im Internet zu finden ist, sei die Polizei "extrem verlegen" gewesen, so die Festivalchefin.

Arabische Filmemacher haben Angst, nach Deutschland zu kommen

Viele internationale Nachrichtenmedien, darunter auch die New York Times, haben darüber berichtet, dass der deutsche Kultursektor von Absagen und Verschiebungen von Veranstaltungen betroffen ist, bei denen Teilnehmer Palästinenser unterstützen oder sich antisemitisch über den Krieg zwischen Israel und Hamas geäußert haben.

Antisemitismusvorfälle haben in Deutschland zugenommen, was die Alarmbereitschaft erhöht. In diesem Zusammenhang sind die deutschen Politiker aufgefordert, zu reagieren und eine strikte Linie gegen Antisemitismus zu ziehen, insbesondere in Anbetracht der historischen Verantwortung Deutschlands infolge der Verbrechen des Holocaust.

Bei den Berliner Internationalen Filmfestspielen im Februar 2024 sorgten einige Dankesreden für Aufruhr unter deutschen Politikern. Einer der Preisträger, ein israelischer Regisseur und Aktivist, sagte, dass er aufgrund der Medienberichterstattung, in der seine Rede als "antisemitisch" bezeichnet worden war, in seinem Heimatland Morddrohungen erhielt.

Fakhry weist darauf hin, dass in einem solchen Kontext viele der Gäste des ALFILM Festivals "Angst haben, nach Deutschland zu kommen ... Ich meine, keiner von ihnen will in einen Konflikt geraten und des Antisemitismus beschuldigt werden."

Umstrittene Begriffe in Deutschland

Die Organisatoren des ALFILM-Festivals haben die internationalen Filmemacherinnen und Filmemacher im Vorfeld des Festivals gebrieft, um von vornherein einige Reizwörter zu vermeiden. "Aber wir haben ihnen auch gesagt, dass dies immer noch ein freier Raum ist und dass wir sie nicht zensieren werden", so Fakhry.

Umstrittene Begriffe wie "Völkermord", "Apartheid" und "Siedlerkolonialismus" im Zusammenhang mit israelischer Politik haben in Deutschland einen Aufschrei ausgelöst. Der Ausdruck "From the river to the sea" wurde in Deutschland vom Innenministerium unter Strafe gestellt. "Vom Fluss bis ans Meer wird Palästina frei sein" ist eine politische Parole der Palästinenser, die unter dem Verdacht steht, Israel das Existenzrecht abzusprechen.

Das zentrale Thema jedes ALFILM Festivals ist eine Reaktion auf aktuelle Konflikte, und so lautet das diesjährige Motto: "Here is Elsewhere: Palästina im arabischen Kino und darüber hinaus". Laut Fakhry haben die Programmgestalter dieses Motto gegenüber ihren Geldgebern, die dem dem Team ihr Vertrauen schenken, transparent gemacht. So konnten sie sich in gewisser Weise "sicher fühlen".

Die Zukunft der Veranstaltung bleibt jedoch ungewiss, da die Berliner Landesregierung, die auch ALFILM finanziert, im Januar versucht hat, eine sogenannte Antidiskriminierungsklausel einzuführen. Danach darf niemand, der "antisemitische Äußerungen" getätigt hat, finanzielle Unterstützung von der Stadt erhalten.

Definition von Antisemitismus

Diese Klausel folgt der Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Die wird allerdings oft dafür kritisiert, dass sie als "antisemitisch" bezeichnet, was andere als legitime Kritik an Israel ansehen würden. Die IHRA-Definition schließt "das Vergleichen zwischen der gegenwärtigen israelischen Politik und der Politik der Nazis" ein sowie "das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z. B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen".

Auch wenn die umstrittene Klausel verworfen wurde, ist die Debatte in der deutschen Hauptstadt und im ganzen Land noch sehr präsent. "Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass das, was wir tun, für viele politische und kulturelle Akteure in Deutschland nicht akzeptabel ist", sagt Fakhry, aber für das ALFILM-Team sei es "existenziell", eine unzensierte Plattform für den Dialog zu bieten.

"Jede palästinensische Geschichte ist politisch"

Das Festival wurde am Mittwoch (24. April 2024) mit dem Dokumentarfilm "Bye Bye Tiberias" von der französisch-palästinensisch-algerischen Filmemacherin Lina Soualem eröffnet. Dass sie den Film in Berlin präsentiert habe, habe sie nicht nervöser gemacht, als wenn er anderswo gezeigt worden wäre, sagte sie der DW. "Es ist immer schwer, über solche Dinge zu sprechen." Ihr Dokumentarfilm basiert auf der persönlichen Geschichte ihrer Familie. Diese "Lebenserfahrungen sind real und verdienen es, gezeigt zu werden".

Im Mittelpunkt von "Bye Bye Tiberias" stehen vier Generationen starker palästinensischer Frauen. In dem Film, der private Videos, Archivaufnahmen, Fotos und Familientreffen kombiniert, erfahren wir, dass Soualems Urgroßmutter ihre acht Kinder allein aufzog, nachdem die Familie 1948 während des Krieges, der auf die Gründung des Staates Israel folgte, aus ihrem Haus in Tiberias vertrieben wurde. Hunderttausende von Palästinensern wurden während der "Nakba" - was auf Arabisch "Katastrophe" bedeutet - vertrieben und enteignet.

Eine weitere zentrale Figur in Soualems Dokumentarfilm ist ihre Mutter, die gefeierte palästinensische Schauspielerin Hiam Abbass. Abbas verließ ihr Dorf Deir Hanna, um ihre Schauspielkarriere in Europa fortzusetzen - eine weitere Form des Exils, die sich auf die Identität ihrer Tochter auswirkte. Soualem wuchs in Frankreich auf und sehnte sich danach, ihre Herkunft besser zu verstehen.

Für Soualem führt die Erforschung intimer Beziehungen innerhalb einer palästinensischen Familie automatisch zur kollektiven Geschichte ihres Volkes: "Jede palästinensische Geschichte ist per se politisch", betont sie, da sie "nicht nur überlebten, sondern auch weiterlebten, nachdem sie massive Enteignungen und den Entzug ihrer Identität als Palästinenser erlebt hatten - was bei jedem Palästinenser der Fall ist, insbesondere seit 1948".

Die Geschichten der Ausgeschlossenen erzählen

Ihr Film wurde bereits vor den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober, die zu den israelischen Vergeltungsschlägen im Gazastreifen führten, fertig gestellt. Er feierte im vergangenen September bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Außerdem wurde er als palästinensischer Beitrag für die Oscar-Verleihung 2024 ausgewählt.

Doch schon vor und während der Dreharbeiten "gab es die Entmenschlichung der Palästinenser, die Beraubung ihrer Identität, die Unterdrückung. All das war bereits Realität", sagt die Regisseurin.

"Wir sprechen immer von den Palästinensern als Masse, als wären sie ein abstraktes Volk. Wir sprechen über Gaza als Abstraktion. Aber in Wirklichkeit geht es um Leben, es geht um Menschen." Und sie fügt hinzu: "Ich war motiviert, diesen Film zu machen, um den Palästinenserinnen und Palästinensern durch meine persönliche Geschichte Komplexität zurückzugeben, weil sie so entmenschlicht, so stigmatisiert wurden."

Soualems Dokumentarfilm spiegelt auch das diesjährige Motto des Arabischen Filmfestivals wider: "In einem Kontext, in dem Geschichten unsichtbar gemacht und marginalisiert werden, sind Bilder und das Erzählen von Geschichten von entscheidender Bedeutung. Denn wenn wir unsere Geschichten nicht erzählen, wird die Geschichte ohne uns geschrieben", betont sie. "Die Fähigkeit, unser Wissen zu teilen, ist auch eine Art zu überleben. Vor allem in einem Kontext, in dem Leben verschwinden, wird das Kino immer da sein, um an diese Menschen zu erinnern, deren Leben ausgelöscht werden."

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch.

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