Monopol

"Meine künstlerische Praxis ist ein Oktopus"

"Meine künstlerische Praxis ist ein Oktopus"
Maque Pereyra
Foto: Maque x auto_timerph Maque Pereyra

Datum
25.04.2024

Sie hat Psychologie studiert, legt auf und ist Erfinderin des Yoggatons: Maque Pereyra ist eine Allrounderin, deren künstlerische Praxis auch politische und aktivistische Elemente hat

Maque Pereyra macht Kunst und Musik und ist spirituelle Aktivistin. Sie kommt aus Bolivien, lebt seit 2016 in Berlin und spielt als Maque auf Partys wie "Hoe_mies" – laut ihr die beste Partyreihe der Stadt, nicht nur wegen der Vibes, auch weil sie LGTBQIA+-DJs und -Produzenten sichtbarer macht. Ihre liebste Spielzeit ist Mitternacht.

Maque Pereyra, wir erwischen Sie gerade in New York, was machen Sie da?

Ich habe ein Fellowship vom Leslie Lohman Museum of Art. Der Schwerpunkt des Stipendiums liegt auf Art Business und Management für freischaffende Künstler. Die letzten sechs Monate habe ich damit verbracht, Online-Seminare zu besuchen, aber jetzt haben sie alle Künstler, die Teil der aktuellen Kohorte sind, zu einem Retreat in New York eingeladen.

Sie sind Musikerin, haben aber auch schon mal ein DAAD-Stipendium bekommen und die bolivianische Auszeichnung Premio Plurinacional Eduardo Abaroa sogar zweimal - was ist denn Ihr künstlerischer Background? Was ist Ihre Praxis?

Ich komme vom Tanz und der Performance. In meiner Ausbildung habe ich viele Tänze trainiert, aber vor allem Ballett und zeitgenössischem Tanz. 2010 habe ich angefangen, Solos zu choreografieren und habe auch ein Studium mit dem Schwerpunkt Solo-Performance angefangen. Mit dem Abschluss habe ich begonnen, meine Praxis diverser zu gestalten. Für mich ist sowohl Auflegen, als auch Musikproduktion, Choreografie und audiovisuelle Produktion eine Erweiterungen des performativen Körpers. Als ob ich viele Tentakeln hätte. Meine künstlerische Praxis ist ein Oktopus. Oder ein Rhizom.

Das müssen wir für alle Nicht-Botaniker erklären: Das ist eine Art Sprossensystem, dessen Wurzeln verbunden sind.

Und die Hauptsprosse, die Praxis, mit der ich mich am meisten beschäftige, ist Yoggaton. Das ist eine Brücke zwischen Yoga, Perreo und Reggaeton.

Perreo müssen wir auch erklären, das ist ein Tanz zu Reggaeton-Musik, aber nicht ausschließlich, sagen Sie, der sich durch die Bewegung der Hüften und des Hinterns auszeichnet. Und vom Wort Perro abstammt, was Hund bedeutet.

Und ein Raum für nicht-binäres Denken ist! Es geht um Becken- und Hinternwackeln und Lustaktivismus. Ich mache Yoggaton, um mehr in Kontakt mit meinem Beckenboden zu kommen, das ist die Basis des Körpers, wo viele emotionale und unbewusste Informationen liegen. Und dabei verwandle ich oft Bilder, die mir im Traum erscheinen, in audiovisuelle Werke, Lieder oder Performances. Der Kontakt mit meinem Beckenboden hat mir die Sinnlichkeit in meiner künstlerischen Arbeit bewusster gemacht und mir den Glauben an die transformative Kraft der Lust geschenkt.

Und wie geht Yoggaton?

Erstmal wärmen wir den Körper mit einer Kombination aus Yogastellungen, bewusster Atmung und Perreo auf. Die Idee ist, sich mit der Sinnlichkeit, der Lust und der Göttlichkeit des Körpers zu verbinden. Ohne Vorurteile. Und dann zu spüren, was diese Bewegungen an die Oberfläche spülen. In meinen Klassen soll nicht darüber nachgedacht werden, was richtig oder falsch ist, die Leute sollen sich erlauben, ihren Körper zu fühlen. Ich vermittle Referenzen, Wissen über die – meist – unteren Chakren oder eine bestimmte Perreo-Bewegung und dann geht es los.

Sie haben das erfunden, oder?

Ja, im Jahr 2016 habe ich das entwickelt, während ich die Verbindung von sogenannten Gegensätzen auf der Körperebene sowie nicht-binäres Denken durch den Körper erforscht habe. In den letzten acht Jahren habe ich dann weiter geforscht und auch unterrichtet. Dabei habe ich immer mehr erfahren über die dekolonialen und choreografischen Potenziale des Bewegens und des Schüttelns des Beckenbodens. Als das immer größer wurde, habe ich mich mehr mit den Praktiken beschäftigt, von denen das Yoggaton abgeleitet ist. Ich nehme regelmäßig an Twerk-Workshops teil, habe eine Yogalehrerinnen-Ausbildung gemacht und lerne ständig dazu.

Geht es um mehr Fitness und Wohlbefinden oder Selbstermächtigung und Bewusstsein?

Die Klassen sind offen für jeden, der in Resonanz mit Perreo, Asana und bewusster Atmung gehen will. Ich glaube, dass das Schütteln des Beckens und des Arsches eine Art Medizin ist, und zu Medizin sollte doch jeder Zugang haben. Was es dann bewirkt, hat viel mit der Absicht den Praktizierenden zu tun. Das reicht von Stressabbau, über Fitness und dem Lernen, wie man den Hintern bewegt und sich mit sich selbst verbindet, bis einfach nur Spaß zu haben.

Sie nennen das auch spirituellen Aktivismus, was ist das?

Er fördert die Verbindung der spirituellen Welt mit der physischen Welt. Zum Beispiel: anzuerkennen, dass die Ungerechtigkeiten in der Welt nicht geschehen, weil einige Menschen "schlecht drauf" sind, sondern weil die Welt auf Systemen aufgebaut ist, die die meisten Menschen unterdrücken und nur einige wenige bevorzugen. Spirituellen Aktivismus zu betreiben, heißt unter anderem, den Menschen Möglichkeiten zu bieten, sich mit sich selbst und ihren Gemeinschaften zu verbinden. Meiner Erfahrung nach ist Tanz eine kraftvolle Möglichkeit, ein Gefühl von Gemeinschaft zu schaffen. In meinem Unterricht sprechen wir viel über die Aktivierung des Beckenbodenchakras und wie das mit Kreativität, Zugehörigkeitsgefühl und Geborgenheit zusammenhängt. Für mich bedeutet die Bewegung dieses energetischen Punktes auch, uns wieder mit Vitalität und Kreativität zu verbinden, die uns im Alltag dient.

Sie haben eigentlich Psychologie studiert, das interessiert sie beruflich nicht mehr?

Vielleicht in ein paar Jahren wieder. In der Zwischenzeit nutze ich all die Werkzeuge, die ich gelernt habe, um einen Raum anzubieten, der für die Teilnehmer so nützlich wie möglich ist. Ich biete auch Einzelgespräche zur emotionalen Befreiung und Coaching mit der Yoggaton-Praxis an.

Als Musikerin spielen Sie oft in Museen oder Orten mit Kunstbezug. Was ich mich schon länger frage: Ist die Kunstszene die neue Partyszene?

Sicher, warum denn nicht? (lacht) Ich sehe die Figur des DJs ähnlich die eines Choreografen. Die Musik in den Sets ist
kuratiert, die Tracks haben ihre Dramaturgie und die Tanzfläche ist die Bühne. Mehr Verbindungen zwischen der Party- und der Kunstszene zu schaffen, ist meiner Meinung nach also nur natürlich.

Was ist in der Kunst anders?

Was mir am stärksten auffällt, ist die größere Altersspanne. An Kunstorten gibt es meistens Kinder und ältere Menschen, aber auch Teenager und Erwachsene. Clubs haben eine spezifischere Altersgruppe. Die Energie ist ganz anders, aber es macht mir immer sehr viel Spaß zu spielen, sei es auf Veranstaltungen in der Kunstszene oder im Clubs.

Wer ist Ihr Lieblingskünstler – egal aus welchem Bereich?

Oh, viele. Die, an die ich heute denke, sind meine Freunde und Kollegen aus der Young Boy Dancing Group. Sie arbeiten immer mit einer Reihe von spezifischen und zugänglichen Tasks, die gleichzeitig viel Freiheit für die Performenden bieten. Sie schaffen sporadische Gemeinschaften und Ensembles, wo immer sie sind, was ziemlich faszinierend und aufregend ist.

Sie arbeiten gerade an Ihrer ersten EP, wann wird sie veröffentlicht?

Ich arbeite gerade an den Skizzen für meine erste EP und bewerbe mich um Förderungen. Und möchte sie Ende des Jahres veröffentlichen.

Gibt es schon einen Titel?

Der Arbeitstitel ist "Cae la noche".

Das bedeutet sowas wie "Die Nacht bricht herein". Wie würden Sie Ihren Musikstil beschreiben, ähnlich dunkel?

Es ist eine Mischung aus Industrial Perreo, dekonstruiertem Reggaeton, Rap und Club-Beats mit lateinamerikanischem Einschlag.

Und was steht – neben der Party zu 20 Jahren Monopol – als nächstes auf Ihrer Agenda?

Ich suche gerade nach Festivals für die Premiere eines Kurzfilms, den ich in Bolivien gemacht habe. Dann zeige ich einen Videoclip in der Silver Selection der Berlin Music Video Awards im Juni, spiele eine Live-Show und ein DJ-Set im Gelatina in Brüssel im Mai, dann weitere Live-Shows und Auftritte. Und natürlich die Veröffentlichung meiner EP. Und wie immer: Mein wöchentlicher Yoggaton-Kurs am Dienstag, sobald ich zurück bin in Berlin.

Wie wichtig ist Berlin für Ihre künstlerische Karriere?

Super wichtig. Nach Berlin zu migrieren, hat mir arbeitstechnisch viele Türen geöffnet und all die Begegnungen haben meine Perspektiven beeinflusst. Auch sind mir meine Wurzeln wertvoller geworden, dabei befinde ich mich gleichzeitig in einem Prozess der ständigen Transformation.

Apropos Transformationen, wer ist Ihr Stylist?

In den letzten Jahren habe ich mein Styling selber gemacht, was mir auch Spaß gemacht hat, aber Anfang des Jahres ergab sich die Gelegenheit, mit Mané Bonamin zusammenzuarbeiten, die man von Isla Berlin kennt. Sie ist großartig, sie stylt jetzt die meisten meiner Gigs.

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