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Kehrtwende in der polnischen Außenpolitik

Kehrtwende in der polnischen Außenpolitik
Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski steht im Parlament am Rednerpult
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski bei der Vorstellung der außenpolitischen Leitlinien im Sejm Bild: Leszek Szymanski/dpa/picture alliance

Die polnische Mitte-Links-Regierung unter dem liberalen Premier Donald Tusk hat gleich nach der Regierungsübernahme am 13. Dezember 2023 mit der Neujustierung der Außenpolitik begonnen. Die vordringlichen Aufgaben: ein Neustart im Verhältnis zur Europäischen Union, die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks und die Verbesserung der angespannten Beziehungen zu Deutschland wurden von Tusks Regierung bereits in den ersten Monaten dieses Jahres in Angriff genommen.

Am Donnerstag (25.04.2024) bestätigte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski in seiner ersten Grundsatzrede vor den Abgeordneten im polnischen Parlament, dem Sejm, den Wandel in der Außenpolitik. Dabei rechnete er mit der Vorgängerregierung der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski hart ab.

"In den vergangenen acht Jahren gab es eine Reihe von verfehlten ideologischen Prinzipien, von schlechten Ideen sowie falschen Entscheidungen und Unterlassungen", sagte Sikorski.

Die drei Außenminister des "Weimarer Dreiecks" (von links nach rechts): Stephane Sejourne (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschland) und Radoslaw Sikorski (Polen) lächeln in die KamerasDie drei Außenminister des "Weimarer Dreiecks" (von links nach rechts): Stephane Sejourne (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschland) und Radoslaw Sikorski (Polen) lächeln in die Kameras
Treffen der Außenminister des "Weimarer Dreiecks" im April 2024 (v.l.n.r.): Stephane Sejourne (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschland) und Radoslaw Sikorski (Polen) in La Celle Saint-Cloud Bild: Sarah Meyssonnier/AP/dpa/picture alliance

Er nannte als Beispiele den "chronischen Konflikt" mit den EU-Institutionen wegen der Politisierung der polnischen Gerichte, der Verschlechterung der Beziehungen zu Polens Nachbarn Deutschland, Frankreich und Tschechien sowie der "verfehlten Hoffnung auf ein Bündnis mit Amerika gegen die EU". Auch ein "ideologisches Bündnis mit Pro-Putin-Populisten" und die Abneigung gegen den angeblich "verfaulten Westen" erwähnte der Politiker, der bereits in den Jahren 2007-2014 das polnischen Außenamt geleitet hatte.

Mythen und Hirngespinste der PiS

Sikorski warf der PiS vor, sich in der Außenpolitik von "schädlichen Mythen und Hirngespinsten" leiten zu lassen. In jeder Mythologie sei ein "schwarzer Charakter" notwendig, um negative Emotionen abzuleiten. Diese Rolle hätten die National-Konservativen den Deutschen zugewiesen. "Deutschland ist unser demokratischer Nachbar, wichtigster Handelspartner, wichtiger europäischer Player und Schlüsselverbündeter in der NATO", hielt Sikorski dagegen.

"Warschau und Berlin brauchen sich gegenseitig", unterstrich der polnische Chefdiplomat. Er zitierte dabei auch aus der Rede des 2015 verstorbenen Vorreiters der polnisch-deutschen Versöhnung, Wladyslaw Bartoszewskivor dem Deutschen Bundestag. Er hatte in dieser viel beachteten Rede im Jahr 1995 gesagt: "Das Gedenken und die historische Reflexion müssen unsere Beziehungen begleiten. Sie sollten dafür jedoch nicht Hauptmotivation sein, sondern den Weg bereiten für die gegenwärtigen und in die Zukunft gerichteten Motivationen."

Reparationen bleiben auf der Agenda

Sikorski sprach auch das Thema der Reparationen für die polnischen NS-Opfer an, wobei er das Wort Reparationen vermied und stattdessen von Entschädigungszahlungen sprach. Er appellierte an die deutsche Seite, in dieser Frage "Sensibilität und Empathie" zu zeigen. "Wir erwarten von Berlin Vorschläge zur Wiedergutmachung", sagte er. An Ideen mangele es nicht - von einer Unterstützung für die noch lebenden Opfer über den Wiederaufbau polnischer Denkmäler, Investitionen in die polnische Sicherheit bis zum polnischen Sprachunterricht und der Vermittlung polnischer Geschichte.

Als besonders wichtig bezeichnete er "deutsche Investitionen in die Sicherheit der Region". Sie seien "Ausdruck der Anerkennung vergangener Fehler". Die Vorgängerregierung hatte die polnischen Kriegsverluste auf 6,2 Billionen Zloty (1,3 Billionen Euro) beziffert und die Bundesregierung im Oktober 2022 aufgefordert, Gespräche über eine Wiedergutmachung aufzunehmen.

Heiße Kartoffel: Reform der EU-Verträge

Sikorski scheute sich auch nicht, die in Polen äußerst heikle Frage der Änderung der EU-Verträge anzusprechen. "Polen wird eine realistische Reform der EU, die zur Wettbewerbsfähigkeit und Stärke der Gemeinschaft beiträgt, unterstützen", versicherte er. Er sei nicht überzeugt, dass dafür eine Änderung der Verträge notwendig sei. "Wir können aber nicht ausschließen, dass ein Teil der Mitgliedsstaaten davon die Zustimmung zur Vollendung der Erweiterung abhängig macht."

Laut Sikorski ist die Regierung "offen für Argumente". Der Minister sprach sich für Mehrheitsentscheidungen etwa beim Beschließen von Sanktionen aus, um Blockaden, wie jetzt von Ungarn, zu vermeiden. Die Aufnahme neuer Mitglieder sollte dagegen einstimmig erfolgen. "Unterbreiten wir kluge polnische Vorschläge", sagte Sikorski und appellierte an die Opposition, die Befürworter der Mehrheitsentscheidungen nicht als Landesverräter zu diffamieren. Oppositionsführer Kaczynski hatte die EU-Pläne als einen Versuch kritisiert, den polnischen Nationalstaat zu liquidieren.

Präsident Duda empört über Sikorski

Der polnische Präsident Andrzej Duda, der die Rede Sikorskis aus seiner Loge im Parlament verfolgte, reagierte empört auf die Kritik an der PiS-Regierung. Das konservative Staatsoberhaupt, das dem national-konservativen Lager um Kaczynski nahe steht, warf dem Außenminister vor, einen Angriff auf die Politik der Vorgängerregierung gestartet zu haben.

"Dieser Angriff ist total unbegründet und enthält viele Lügen, Manipulationen und Unwahrheiten, die die Polen spalten und einen unnötigen Konflikt heraufbeschwören", sagte Duda. Er warf der EU-Kommission "ungeheure Heuchelei" in der Frage der Rechtsstaatlichkeit vor. Sikorski beschuldigte er, vor 2015, als Deutschland und Russland gemeinsam die Gaspipeline Nord Stream 1 und 2 gebaut hätten, Berlin zur Übernahme der Führung in Europa ermuntert zu haben. Bei seinem Besuch in Berlin im November 2011 hatte Sikorski gesagt: "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit."

Die polnischen National-Konservativen betrachten Deutschland als die größte Gefahr für Polens Souveränität. Kaczynski bezeichnet den heutigen Regierungschef Tusk seit langem öffentlich als deutschen Agenten und seine Partei Bürgerplattform als von außen gesteuerte Kraft.

Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen werden Anfang Juli die Regierungskonsultationen sein. Das letzte Treffen fand im November 2018 statt, noch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag sieht eigentlich jährliche Konsultationen vor.

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