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Start-up-Check! ProteinDistillery nutzt Brauabfällen gegen den Welthunger

Start-up-Check! ProteinDistillery nutzt Brauabfällen gegen den Welthunger
ProteinDistillery, Start-up, Brauabfälle Welthunger, vegan
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In der Serie „Start-up-Check!“ nehmen wir regelmäßig die Geschäftsmodelle von Start-ups unter die Lupe. Wer steckt hinter dem Unternehmen? Was macht das Start-up so besonders und was gibt es zu kritisieren? Heute: ProteinDistillery.

Start-ups: Das klingt nach Erfindergeist, Zukunftstechnologien, neuen Märkten. Doch in der Realität erweisen sich viele der Neugründungen leider oft als eine Mischung aus einer E-Commerce-Idee, planlosen Gründern und wackeligen Zukunftsaussichten.

Dabei gibt es sie durchaus: die Vordenker, die an den großen Problemen tüfteln und Geschäftsmodelle revolutionieren. Diese zu finden und vorzustellen, ist die Aufgabe des Formats Start-up-Check. Heute: ProteinDistillery aus Esslingen.

Wer steckt hinter ProteinDistillery?

Das ist ProteinDistillery:

  • Unternehmenssitz: Ostfildern (Kreis Esslingen)
  • Gründung: 2021
  • Gründungs-Team: Christoph Pitter, Michael Baunach, Dr. Tomas Kurz und Marco Ries
  • Zahl der Mitarbeitenden: +20
  • Produkt(e): Prew:tein™, Proteinpulver aus Bierhefe

Vegane Proteine sind auf dem Vormarsch, getrieben durch steigendes Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein. Das zeigen auch aktuelle Zahlen: Laut des Ernährungsreports 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hat sich der Anteil der Deutschen, die täglich zu vegetarischen oder veganen Produkten greifen, innerhalb von drei Jahren von fünf auf zehn Prozent verdoppelt. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) hat solche Produkte bereits mindestens einmal gekauft, während 46 Prozent ihren Fleischkonsum bewusst einschränken.

Vegane Produkte: Viel Auswahl, aber auch viel Kritik

Der Einsatz pflanzlicher Proteine in der Lebensmittelherstellung steht vor mehreren Herausforderungen: Soja, Weizen & Co. benötigen zahlreiche Zusatzstoffe wie Zucker, Gewürzen und Geschmacksverstärker, um aus ihnen vegane Fleisch- oder Milchprodukt-Alternativen herzustellen.

Dies führt nicht selten zu unnatürlichem (Nach-)geschmack und schwammartigen Texturen. Biss und Saftigkeit von Steak & Co. glaubhaft zu imitieren, gelingt so nicht. Kritisch ist auch der Einsatz von bis zu zwei Gramm Salz pro 100 Gramm Produkt – bei einem veganen 300-Gramm-Schnitzel wäre damit die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation von maximal fünf Gramm Salz pro Tag bereits überschritten.

Die für die derzeitigen Alternativ-Probleme verwendeten pflanzlichen Proteine stehen auch noch aus anderen Gründen in der Kritik: Obgleich sie als nachhaltiger und klimaschonender im Vergleich zu tierischen Produkten angepriesen werden, sind sie alles andere als emissionsneutral: Ihre Herstellung benötigt große Anbauflächen, Wasser, Strom & Co. Besonders bei Soja zücken viele Kritiker des Vegan-Trends gerne demonstrativ den CO₂-Taschenrechner. Die Frage lautet also: Geht das besser?

Aus Bierhefe wird Prew:tein™

Die Antwort: Yes! Das Start-up, das wir heute vorstellen, denkt sogar noch weiter. Kleiner Spoiler: Es geht um nicht weniger als um einen revolutionären Ansatz zur Lösung des Welthunger-Problems.

Starten wir bei den Anfängen: ProteinDistillery hat eine innovative Methode entwickelt, um Bierhefe, ein Abfallprodukt aus den über 2.000 Brauereien Deutschlands, in hochwertiges, gut verträgliches Protein umzuwandeln. Das Produkt namens „Prew:tein“ nutzt die natürliche Protein- und Nährstoffdichte der Hefe, die sonst häufig als Tierfutter verwendet oder entsorgt wird. Prew:tein ist ein Kofferwort aus „Brew“ (deutsch „brauen“) und Protein.

Manche kennen Bierhefe auch aus dem Drogeriemarkt oder der Apotheke – dort findet man sie unverarbeitet schon länger als vitaminhaltiges, aber wenig schmackhaftes Nahrungsergänzungsmittel in Tabletten- oder Pulverform. In der veganen Küche sind Hefeflocken, hier oft „Nutritional Yeast“ genannt, auch schon länger bekannt, zum Beispiel als Geschmacksträger in veganem Käse.

Das Besondere an ProteinDistillery

Ein enormer Vorteil für das junge Start-up: Ein ansonsten notwendiges, aufwändiges Lebensmittel-Zulassungsverfahren bleibt ihnen deswegen erspart. Wenn es das alles prinzipiell schon gibt – was ist dann die echte Innovation hierbei?
Die Antwort: Das zum Patent angemeldete Verfahren der Firma, eine Fermentations-Methode von Biomasse, entfernt effektiv die Bitterstoffe aus der Hefe und verfeinert ihre Textur.

So wird daraus ein komplett veganes Pulver als Grund- oder Ergänzungsstoff für Tierprodukt-Alternativen. Dieses hat einen Proteingehalt von über 75 Prozent, ist cremeweiß und schmeckt neutral bis umami. Der Clou und USP ist aber, dass es dadurch vielfältig eingesetzt werden kann, beispielsweise in Fleisch-, Ei-, Käse- und Milchalternativen sowie als Bindemittel und natürlicher Geschmacksverstärker.

Die daraus hergestellten Produkte sollen dann keinerlei Kompromisse mehr bei Textur und Geschmack mehr eingehen. Ein Beispiel ist der Einsatz als Ei-Ersatz: Prew:tein™ wird beim Kochen hart, lässt sich in Wasser aufgelöst aufschäumen und macht so lecker-fluffige vegane Backwaren möglich.

Das Start-up stellt dabei nur das Protein her und verkauft es an Lebensmittelhersteller weiter. Erste Kooperationen sind nach eigenen Angaben bereits vielversprechend angelaufen, weitere sollen folgen.

Seed-Finanzierung und Einzug im alten Knorr-Areal

In seiner ersten Finanzierungsrunde im Februar dieses Jahres hat ProteinDistillery beeindruckende 15 Millionen Euro eingesammelt. Die frisch gesicherten Mittel ermöglichen es dem Gründerteam, ihre Forschungs- und Entwicklungsinitiativen zu beschleunigen, die Produktionskapazitäten auszuweiten und das Team zu vergrößern.

Ein wichtiger Schritt wurde im April 2024 genommen: ProteinDistillery hat Räumlichkeiten im ehemaligen Knorr-Areal in Heilbronn bezogen, die dortige Produktion soll bereits im Mai losgehen und die zugrundeliegende Technologie auf Massen-Output skaliert werden. Das Ziel: mehrere Tausend Tonnen Protein pro Jahr produzieren. Der Standort soll gleichzeitig als erstes „Protein-Kompetenzzentrum“ Europas etabliert werden.

Wenn das nicht schon nach etwas Großen klingt, setzt Gründer Christian noch einen drauf. Er träumt davon, mit Prew:tein-Produkten zunächst die westliche Welt zu erobern, um so den Weg für globale Veränderungen zu ebnen. Das langfristige Ziel richtet sich dabei besonders an Afrika aus, wo diese alternative Proteinquelle in besonderem Maße zu einer ausgeglicheneren Ernährung und einer besseren Lebensqualität beitragen könnte.

Auf lange Sicht plant das Unternehmen, Produktionsstätten in Europa und Amerika zu errichten und später auf Südamerika und Afrika auszuweiten. Ziel ist es, die benötigte Nahrung vor Ort zu produzieren, Arbeitsplätze zu schaffen und zur kulturellen Akzeptanz dieser neuen Nahrungsform beizutragen. Durch Bildung soll das Bewusstsein für die Bedeutung der Fermentation gefördert und mit der lokalen Kultur verbunden werden.

Fazit: ProteinDistillery

Sollten wir also ein, zwei Extra-Bierchen trinken, damit dem Start-up der Grundstoff Bierhefe nicht ausgeht? Steckt am Ende doch das Brau-Gewerbe dahinter? Wir erinnern uns doch noch alle an das „Regenwald-Projekt“ eines deutschen Brauereiunternehmens.

(Ein Kasten Bier = Ein Quadratmeter Regenwald) Die Kampagne führte damals wirklich zu einem Rekord-Absatzplus, stand aber kurz darauf groß in der Greenwashing-Kritik – obgleich der Begriff damals noch gar nicht so präsent in den Medien war.

Aber keine Sorge, es besteht keine Gefahr, dass mit der hierzulande und global jährlich verfügbaren Bierhefe die Produktionsziele nicht erreicht werden können. Und falls doch? Die Technologie von ProteinDistillery ist nicht nur auf Brauabfälle beschränkt, sondern kann auch auf eine Vielzahl fermentierter Biomasseprodukte angewendet werden.

Summa summarum: Durch die Aufwertung von Bierhefe zu Prew:tein leistet ProteinDistillery einen wertvollen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Sie transformieren ein großvolumiges Abfallprodukt in eine wertvolle Ressource für die Lebensmittelindustrie, reduzieren die Abhängigkeit von tierischen Produkten und fördern durch kurze Lieferketten die Nutzung von lokalen Ressourcen. Auch die Brauereien ist es eine Win-Win-Situation, ihre Abfallprodukte nicht mehr entsorgen zu müssen, sondern weiterverkaufen zu können.

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