
Text
Bernhard Schulz
Datum
14.03.2025
Die Fotografin Susanna Kraus hat einen begehbaren Apparat benutzt, den ihr Vater ersonnen hatte. Mit der Riesenkamera "Imago" wurden die Porträtierten Gestalter ihres eigenen Bildes. Jetzt ist die Künstlerin im Alter von 68 Jahren gestorben
Fotoapparate waren anfangs ziemliche Ungetüme. Im Laufe der Zeit gelang es, sie zu verkleinern. Eine regelrechte Revolution war die Erfindung der Kleinbildkamera nach Vorbild der Leica. Eine weitere Revolution war die Erfindung des Smartphones, das in kürzester Zeit jeden und jede zum Bilderproduzenten gemacht hat, tagtäglich und in milliardenfacher Zahl.
Es gehört schon etwas dazu, sich dieser Entwicklung zum Einfachen, aber auch Beliebigen und Gedankenlosen entgegenzustemmen. Susanna Kraus hat es gewagt, und sie hat dabei Erfolg gehabt. Sie hat als Fotografin eine Kamera benutzt, die das vollständige Gegenteil des handlichen Phones darstellt – ein Monstrum, das so aussieht, wie man sich eine Zeit-Maschine vorstellen könnte. Man steigt hinein – und kommt anders wieder heraus.
Nicht nur mit, sondern vor allem in dieser Apparatur hat Susanna Kraus Porträtfotografien angefertigt, in Lebensgröße, von größtmöglicher Detailgenauigkeit, kontrastreich in fein abgestuften Grauwerten. Dazu nutzte sie ein Umkehrverfahren, bei dem kein Negativ als Zwischenschritt entsteht, sondern die fertige Fotografie direkt auf das besondere Fotopapier gebannt und dann entwickelt wird. Das Silbergelatine-Papier gab es längst nicht mehr, schon gar nicht in der erforderlichen Größe von 60 auf 220 Zentimetern; eine Schweizer Firma hat es eigens für die Fotografin nochmals aufgelegt.
Spiel mit dem Spiegelbild
"Du alleine übernimmst die Regie, gestaltest dein Bild mit Hilfe eines seitenrichtigen Spiegels, der dich so zeigt, wie dein Gegenüber dich sieht. So wirst du zum Fotografen und Fotografierten in einer Person", heißt es auf der Website, mit der um Kunden für die "Imago" genannte Technik geworben wurde, denn die Arbeiten entstanden per Auftrag und Bezahlung. Dieser professionelle Umgang erlaubte es Susanna Kraus, Menschen aller Schichten und Stände vor die Linse, und das heißt in ihren Apparat hinein zu bekommen; viele Promis darunter, am ehesten prädestiniert, die Eigenart dieser Foto-Technik zu erkennen und zu schätzen, so oft, wie sie selbst im Alltag geknipst werden.
Den begehbaren Apparat, im Ganzen vier mal sieben Meter groß und drei Tonnen schwer, hatte der Vater der Fotografin ersonnen, ein Ingenieur, der ihn für sehr spezielle Anforderungen benötigte, und gemeinsam mit einem befreundeten Bildhauer im Jahr 1972 konstruiert. Susanna Kraus griff nach einem Leben als Schauspielerin das Potenzial auf, das in künstlerischer Hinsicht in dem Apparat steckt und das auch dem Vater schon bewusst war. Es dauerte ein gutes Jahr, bis die Tochter den eingemotteten Apparat wieder betriebsbereit gemacht hatte und 2006 erstmals vorstellen konnte.
Als gelernte Schauspielerin mit Studium an der renommierten Falckenberg-Schule verstand die 1957 in München geborene Susanna Kraus vielleicht besser als andere, wie eine gute Porträtfotografie zustande kommt, nämlich als Zusammenspiel der einen Person, die – und sei es insgeheim – Regie führt, und der anderen, die spielt, was immer auch bedeutet, ein gutes Stück sich selbst zu spielen. Jedenfalls hatten die Promis erkennbar – an den fertigen Fotos erkennbar – Spaß daran, sich in das Abenteuer einer black box zu stürzen und in einer Weise bildlich festgehalten zu werden, die außergewöhnlich ist und bleibt. "Viele sind von der Art der Fotografie fasziniert, von der Wirkung der Bilder, dem Spiel mit dem Spiegelbild, dem fremden Blick auf sich selbst und von der Möglichkeit, selbst über den Moment des Auslösens zu entscheiden", hat Susanna Kraus diese Besonderheit einmal beschrieben.
Erinnerung an den Holocaust
Gern hat Susanna Kraus in Serien gearbeitet, etwa – wie sie einmal aufgelistet hat – über die Psychoanalytiker Wiens, die Akrobaten des Circus Roncalli oder Kreuzberger Punks. Ein besonderes Projekt galt der Erinnerung an den Holocaust. Unter dem Titel "Wir! Sind! Hier!" versammelte sie Holocaust-Überlebende, um sie als diejenigen zu fotografieren, die sie im Laufe die Jahrzehnte geworden waren; nicht als Blick zurück, sondern in die Gegenwart, die es den NS-Tätern zufolge nie gegeben hätte. Unter anderem 2022 im Berliner Abgeordnetenhaus wurden die Aufnahmen gezeigt, nach Zahl und Anordnung von 15 Personen in Anlehnung an die unsägliche Wannsee-Konferenz, mit der 80 Jahre zuvor der systematische Völkermord besiegelt worden war. Die unretuschierten, durch keinen digitalen Filter geschickten Aufnahmen kommen so nahe daran, das Leben selbst zu dokumentieren, wie es nur irgend möglich scheint.
Jetzt ist Susanna Kraus im Alter von 68 Jahren unerwartet verstorben. Ihre Fotografien werden Bestand haben.