
Donatella Versace wurde nach dem Tod ihres Bruders nicht nur die Chefin, sondern auch das Gesicht des Modehauses Versace. Jetzt tritt die 69-Jährige als kreative Leiterin zurück. Welche Richtung wird die Marke ohne sie einschlagen?
Großer Bruder und kleine Schwester, er das Genie, sie in seinem Schatten. Als er stirbt, soll sie sein Erfolgsunternehmen übernehmen – kann das gut gehen? Kann es, zeigt die Versace-Saga, die Geschichte von Gianni und Donatella. Nachdem ihr Bruder auf offener Straße ermordet wurde, führte Donatella Versace das Modehaus weiter, bis heute. Jetzt kündigte sie ihren Rücktritt an, und ein Versace ohne sie fühlt sich schon jetzt ganz seltsam an.
Rückblicke und Huldigungen an die wasserstoffblonde 69-Jährige schwirren durch die sozialen Medien. "I'm very lucky to be Donatella Versace" steht als Zitat auf einem Screenshot eines Videos, das die Designerin auf der Rückbank eines Autos zeigt. Sie ist unmittelbar mit der Kultmarke verbunden. Die meisten sehen neben dem Medusen-Kopf, der das Versace-Logo ausmacht, auch den ihren, wenn es um das italienische Modehaus geht. Sie wird immerhin Chief Brand Ambassador bleiben, eine ehrenamtliche Rolle, wird sich um Wohltätigkeitsanliegen und rote Teppiche kümmern.
Und das erste Mal in knapp 50 Jahren Firmengeschichte wird die kreative Leitung bei einer Person außerhalb der Versace-Familie liegen. Dario Vitale, vorher Designdirektor bei Miu Miu, wurde schon als die neue kreative Spitze ernannt. Mit ihm im Team etablierte sich Miuccia Pradas Zweitmarke zu der erfolgreichsten und beliebtesten Modemarke der letzten Saisons. Auch wird gemunkelt, dass Versace eine Prada-Übernahme ins Haus steht. Die eigenen Leute in dem Unternehmen zu positionieren, wäre da kein schlechter Schachzug.
"Ich sagte mir immer wieder: Versuch nicht, Ganni zu sein"
"Ich hoffe, ich hab euch bislang stolz gemacht", liest sich der Text unter Donatellas aktuellem Instagram-Post, der ihr Schwarz-weiß-Porträt aus der Zeit ihrer Anfänge bei Versace zeigt. Zweifellos dachte sie bei diesen Zeilen vor allem an ihren Bruder. Der gründete das Label 1978, zeigte maximalistische, sexy-elegante Damenmode, gehörte schnell zu den großen iItalienischen Modemachern. Er galt als seiner Zeit voraus, definierte Luxus neu, kleidete die größten Popstars ein. Schon 1989, im Alter von 34 Jahren, begann Donatella bei Atelier Versace zu arbeiten. Von 1993 an hatte sie die alleinige kreative Verantwortung für "Versus", Versaces günstigere Zweitlinie. Die hatte Gianni als Geschenk für seine Schwester gegründet, sodass sie voll in sein Unternehmen einsteigen konnte.
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1997 übernahm Donatella nach Gianni Versaces Tod die Führung des gesamten Modehauses. Sie hatte weder die Ausbildung noch das größte Verlangen, als seine Nachfolgerin zu agieren, und doch erbte sie das 807-Millionen-Dollar-Business mit 130 Geschäften weltweit. "In den ersten fünf Jahren war ich verloren … Ich habe viele Fehler gemacht. Ich sagte mir immer wieder: Versuch nicht, Gianni zu sein", erinnert sie sich. Es dürfte wenig Spaß gemacht haben, eine Larger-than-Life-Legende ersetzen zu müssen.
Dabei spielte Donatella von Beginn an eine nicht zu unterschätzende Rolle für das Unternehmen. Gerade die Frauen seiner Familie, allen voran seine Schwester, inspirierten Gianni zu seinen Kreationen. Unter seiner Führung, aber durch Donatellas Initiative, arbeitete die Marke schon früh eng mit Stars zusammen. Sie kleidete sie ein, schaffe ein freundschaftliches Verhältnis und nutzte sie so als wandelnde Werbetafeln, Influencer-Kollaborationen avant la lettre. Donatella prägte und definierte die Marke bereits als Giannis rechte Hand mit. Die späten 1990er-Jahre liefen dann aber nicht sehr gut für das eklektische Modehaus. Versace passte nicht zu den schlichten Entwürfen und monochromen Farben, die den Minimalismus dieses Jahrzehnts dominierten. Als Donatella in einem Interview gefragt wurde, was ihr Bruder wohl zu ihrer Arbeit als künstlerische Leitung gesagt hätte, antwortete sie: "Nicht gut genug".
Strass, Schmetterlinge und Pastell-Farben
Ein Richtungswechsel war angesagt und Donatella verdoppelte die Versace-DNA in all ihren Schattierungen. Mehr Drama, mehr Luxus, mehr Verführung. Das grüne "Dschungel-Kleid", das Jennifer Lopez bei der Grammy-Verleihung 2000 trug, zeigte, in welche Richtung das Haus funktionierte: Extravaganz! Und trotzdem waren auch die frühen 2000er-Jahre nicht von großem Erfolg gekrönt. Nach Donatellas Aufenthalt in einer Entzugsklinik schien dann auch die Mode an einem neuen Anfang zu stehen. Sie ließ sich auf den Wandel ein, den das neue Jahrtausend verlangte und stimmte einer H&M-Kollaboration zu, die sofort ausverkauft war. Sie machte die Laufsteg-Schauen zu Spektakeln, setzte auf virale Momente und Show-Einlagen.
Die Original-Supermodels, die während einer Gianni-Versace-Show "Freedom" singend die Grenze zwischen Model und Superstar überschritten hatten, kamen jetzt zurück und in den sozialen Netzwerken extrem gut an. Donatella kreierte eine Kollektion zusammen mit dem italienischen Traditions-Modehaus Fendi, lud Sängerin Dua Lipa als Co-Designerin ein. Plötzlich hatte sie den Dreh raus und auch die Nostalgie für vergangene Modejahrzehnte spielte ihr in die Karten. Strass, Schmetterlinge und Pastell-Farben feierten ein Comeback. Giannis Codes und Klassiker passte sie an die Generation TikTok an.
Im Jahr 2018 wurde Versace von der Luxusgruppe Capri Holdings übernommen, finanziell lief es so wieder besser. Doch obwohl die Versace-Designs auf den Laufstegen gefeiert wurden, brachen die Umsätze auch kürzlich wieder ein. In einer durch Kriege erschütterten Welt kommen prunkvolle, grelle Entwürfe weniger gut an. So brachte die "Quiet-Luxury"-Phase Versace erneut zu Fall. Donatellas kürzlich bei der Mailänder-Modewoche gezeigte Kollektion für den Winter, schien schon wie ein Abschied. Ein Griff ins Archiv, Jahrzehnte der Modemarke auf einem Laufsteg versammelt. "Mit dieser Kollektion folge ich keinen Regeln. Nur den Regeln der Versace-DNA", erklärte es Donatella.
Ihre größte Motivation sei es, Selbstbewusstsein durch ihre Mode zu vermitteln, sagte die Modedesignerin einst in einem Interview. Persönlich und laut waren ihre besten Entwürfe. Dieser Posten ist für sie nie nur ein Job gewesen, sondern eine Lebensaufgabe. Das Erbe ihres Bruders adäquat weiterzuführen, ihn, seine Fans und ihre gemeinsame Familie nicht zu enttäuschen und dabei eine eigene Stimme zu finden. Dabei ist sie selbst zu einer Ikone geworden. Versace unter Donatella gehörte zu einer der wenigen Marken, deren Designerin ebenso die Botschafterin des Hauses ist. Sie ist Versace, untrennbar, bis heute. Weißblondes Haar, schwarzes Leder und hohe Hacken. Mögen die roten Teppiche dieser Welt sie willkommen heißen.