Monopol

Die Stille hat hier nichts verloren

Die Stille hat hier nichts verloren
Ausstellungsansicht "Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia", Haus der Kunst München, 2024
Ausstellungsansicht "Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia", Haus der Kunst München, 2024

Mit der lauten und bunten Schau "Velvet Terrorism" zeigt das Münchner Haus der Kunst Pussy Riots Protestaktionen gegen Putin. Kann die Rebellion der Gruppe in musealer Form überzeugen, oder wird sie durch Starkult verwässert?

Was bedeutet es, wenn Protest und Rebellion, deren bevorzugte Spielorte die Straße und der öffentliche Platz sind, im Museum landen, also in einer Stätte der Bewahrung und Historisierung? Ist es ein Zeichen für das Ende aktivistischer Kunst? Zurzeit ist im Münchner Haus der Kunst die Ausstellung "Velvet Terrorism. Pussy Riot’s Russia" zu sehen. Die Schau, übernommen vom Louisiana Museum für Moderne Kunst in Humlebaek bei Kopenhagen, ist wie die angebotenen Führungen gut besucht und findet im vormaligen Luftschutzkeller des Hauses statt. Und somit gewissermaßen im Untergrund.

Das Ticket erwirbt man allerdings wie gewohnt am Schalter des Haupteingangs. Dann aber heißt es, um das Gebäude herumzugehen, um auf der Gartenseite auf eine schmale Tür zu stoßen, die hinter einem PVC-Lamellenvorhang den Eingang der Ausstellung markiert. Im Anschluss an die Einlasskontrolle betritt man einen in den Farbtönen Magenta und Lila, Giftgrün und Gelb gefassten Gang, der in seinem schrillen Kolorit ein wenig an einen Partykeller der achtziger Jahre oder auch an die bunt schillernde Welt von Pippi Langstrumpf erinnert.

Das exquisite Farbprogramm der Wände scheint die schräge Pop-Buntheit der Kostüme der Pussy-Riot-Mitglieder aufzugreifen, durch die sie vor rund 15 Jahren ihr bildmächtiges Kenn- und Markenzeichen gesetzt haben. Knallige Töne für Kleider, Strumpfhosen und Strickmützen, die sogenannten Balaklavas oder Sturmhauben.

"Muttergottes, Jungfrau, jage Putin weg!"

In den 15 kleinen Räumen, besser Kammern, die links oder rechts vom Mittelgang abgehen, werden in historischer Abfolge die regimekritischen Aktionen des feministischen Punk-Kollektivs entlang von Fotos, Filmen und Texten dokumentiert. Als Ableger der Künstlergruppe Woina im Jahr 2011 gegründet, wurden die als Musikband getarnten politischen Aktivistinnen durch ihre filmisch aufgezeichneten und via Internet verbreiteten, immer gut geplanten, aber wie Spontanaktionen wirkenden Auftritte rasch international bekannt. Bereits 2012 landete ein zur Illustration umgewandeltes Foto der spielerisch kickboxenden Gruppe unter dem Titel "Confronting the Kremlin" auf dem Cover des "Time Magazine".

Aus Anlass der von Wladimir Putin für sich selbst avisierten dritten Amtszeit, für die es keine gesetzliche Grundlage gab, protestierte Pussy Riot zunächst im Winter 2011 bei Eiseskälte auf dem Roten Platz. Dann am Vormittag des 21. Februar des Jahres darauf in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. Mit ihrem "Punk Prayer" geißelten sie die politisch verabredete und propagandistisch wirkmächtige Kooperation von Kirche und Staat.

Indem es ihnen mit einigem Geschick gelungen war, sich mit ihren Rucksäcken an den Wachmännern und Kirchendienerinnen vorbei ins Innere zu schleichen, sprangen sie in einem unbemerkten Augenblick auf das Podium vor der Ikonostase, packten ihre E-Gitarre und zwei Mikrofone aus und trugen wild tanzend und gestikulierend, darunter auch das Kreuzzeichen machend, ihren Protestsong vor. Der Refrain: "Muttergottes, Jungfrau, jage Putin weg, jage Putin weg".

Umgehend ikonisch und historisch

Die Performance dauerte nur 41 Sekunden, weil inzwischen auch die Wachleute auf den "blasphemischen" Akt aufmerksam geworden waren. Folglich walteten sie ihres Amtes, indem sie die fünf Frauen von der dem Klerus vorbehaltenen Bühne handgreiflich verjagten. Im Publikum postierte Freunde filmten den Auftritt und das darauffolgende chaotische Gerangel, bearbeiteten am Nachmittag das Videomaterial und veröffentlichten es gegen Abend online.

Der Clip und die zugehörigen Fotos, die suggerieren konnten, die Frauen seien direkt den gemalten Heiligenbildern entsprungen, darunter eine Verkündigung, gingen rasch viral und ließen die dokumentierte Szene beinahe umgehend ikonisch und historisch werden. Die Anklage und Verurteilung wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" folgten nicht auf dem Fuße, sondern erst Monate später, bedeuteten aber für drei Mitglieder der Gruppe – Marija Aljochina, Jekaterina Samuzewitsch und Nadeschda Tolokonnikova – zwei Jahre Freiheitsentzug, sprich Lagerhaft.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Civey, YouTube, Vimeo, Instagram, Opinary, Soundcloud, Facebook, Podigee und detektor.fm. Um diese Inhalte darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung.
Weitere Informationen finden Sie im Bereich Datenschutz.

Inhalte aktivieren

Entmutigen ließ man sich von diesem Urteil, gegen das sich ringsum in der demokratischen Welt laute Proteste erhoben, nicht. Es folgten in den nächsten Jahren zahlreiche weitere Aktionen, in deren Zentrum vorwiegend die Kritik an der Tyrannei Putins stand, darunter die ikonoklastischen Akte, mittels Wasserlassen ein Porträt des russischen Präsidenten zu schmähen oder die wie ein Hexensabbat inszenierte öffentliche Verbrennung eines Bildes mit dem meterhohen Konterfei des verhassten autokratischen Regenten ("Putin’s Ashes", 2023).

Begehbares Bilderbuch, Lärm als Kunst

Wie nun stellt man solche Aktionen aus? Wie lässt man deren programmatische Ideen und die dahinterstehenden politischen Positionen anschaulich werden? Die Initiative zur Schau und ihre organisatorische Unterstützung gingen auf die Anregung des Kollegen Ragnar Kjartansson zurück. Der isländische Künstler hatte Aljochina bei ihrer Flucht in einer giftgrünen Lieferdienstuniform über Belarus ins Baltikum unterstützt und sie von dort nach Island eingeladen.

Entscheidend für die Präsentation der Ausstellung war das von Aljochina verantwortete Konzept. Der Leitgedanke scheint die Idee eines begehbaren Bilderbuchs gewesen zu sein. Entsprechend verwandt in der grafischen Gestaltung sind die Schau und der Katalog. Im Buch allerdings fehlen naturgemäß die Bewegtbilder der Videos und der lautstarke musikalische Sound, der die Inszenierung vor Ort begleitet.

Auf die Möglichkeit, Kopfhörer zu nutzen, wurde an vielen Stellen bewusst verzichtet, um den teils ohrenbetäubenden Lärm als gewichtige Aussageebene zu etablieren und seine Rolle als zentrales Element der Aktionen zu würdigen. Die in einem Museum üblicherweise vorherrschende Stille hat hier nichts verloren. Man verlässt daher die Ausstellung über den zum Parkplatz führenden Hinterausgang auch mit leicht dröhnendem Kopf – voller einander überlagernder Bilder und Geräusche.

Mutiger Widerstand mit globalem Einfluss

Wer als Besucher vorinformiert ist und die Geschichte von Pussy Riot zumindest in Ansätzen kennt, hat es bei der Orientierung über die Aktionen und die sie begleitenden Polizeieinsätze und juristischen Verhandlungen sicherlich leichter. Im Übrigen wird man durch Überschriften und Kommentare die wesentlichen Daten und Zusammenhänge zur Kenntnis nehmen und vor allem vermutlich über die Vielfalt der Auftritte im vergangenen Jahrzehnt und insbesondere den Mut und die schier unerschöpflich scheinende Energie der Protagonistinnen bass erstaunt sein.

Dass Aljochina ringsum im Zentrum steht, erinnert ein wenig an einen in diesem Kontext nicht ganz angemessenen Personenkult, aber sie ist neben Nadeschda Tolokonnikova einer der beiden großen Stars der Bewegung, die unterdessen in einen weitgehend anderen Aggregatzustand übergegangen ist.

Dies ist der Fall, weil man seit rund drei Jahren vom Ausland aus und in anderen politischen und künstlerischen Formaten, darunter Konzerte ("Riot Days Tour"), Vorträge, Bücher, Filmdokumentationen ("Pussy Riot. A Punk Prayer") oder eben Ausstellungen, sowie neuen personellen Zusammensetzungen operieren muss und möchte. Die oberste Zielsetzung aber, das Putin-Regime ins Wanken zu bringen, bleibt. Nicht zuletzt auch angesichts seiner bis dato fortdauernden "Spezialoperation" gegen die Ukraine.

Der Starkult hat begonnen

Dennoch bleibt der Eindruck, dass nicht zuletzt mithilfe der Museen und Ausstellungen die Historisierung von Pussy Riot und damit die Glorifizierung und Ästhetisierung der Kampagnen und der Starkult begonnen hat. Im OK (Offenes Kulturhaus) Linz war im Vorjahr die Ausstellung "Rage" zu sehen, eine noch stärker auf eine einzige Pussy-Riot-Künstlerin fokussierte Schau zu sehen, in diesem Fall Nadya Tolokonnikova.

In einer von vielfältigen Medien geprägten Resonanzwelt ist eine solche Tendenz vermutlich nicht abzuwenden, aber der Kollektivgedanke bleibt dabei eher auf der Strecke. Die Strickmützen dienten ja anfangs nicht nur gegen allzu rasche Identifizierung durch Gesichtserkennung, sondern auch dazu, den Gruppencharakter und die Anonymität zu betonen.

Als "Sturmhauben", aus militärischen Zusammenhängen herrührend, betonten die Requisiten auch den Aspekt der Revolte und des Protests. Dass sie unterdessen zu modischen Accessoires avanciert sind, steht ebenfalls auf dem Blatt einer beinahe unumgänglichen, aus der beeindruckenden Presseresonanz und dem ebenso großen Publikumserfolg resultierenden Kommerzialisierung der Attribute einer ehemals "wilden Truppe".

Entpolitisierter Protest im Museum

Dass ein Museum oder ein Ausstellungshaus zu diesem Prozess beitragen, steht außer Frage. Ob diese Institutionen aber überhaupt die angemessenen Orte darstellen, aktivistischer Kunst ihren ebenso nobilitierenden wie zugleich entpolitisierenden Rahmen zu verleihen und damit eine Art bürgerliche Absolution zu erteilen, lässt sich diskutieren. Und ob im Fall Münchens die ehemaligen Räume eines NS-Luftschutzkellers den passenden Kontext abgeben, darf bezweifelt werden.

Hier wird der Underground in den Untergrund verbannt. Wenn aber Klimaaktivistinnen - wie zum Beispiel die Mitglieder von "Just Stop Oil" in London oder anderswo - in die heiligen Museumshallen vordringen, um mit einem zweifelsohne symbolischen Bildersturm in einer Institution, in der Klimaschutz das höchste restauratorische Gebot ist, mit den "Sonnenblumen" van Goghs gegen die Verschandelung der Umwelt zu protestieren, dann ist das offizielle Geschrei groß. Und wieder folgen - wie zuletzt in Großbritannien mit zwei Jahren und 20 Monaten Haft - undenkbar hohe Strafen für die aus zivilem Ungehorsam Protestierenden auf dem Fuße.

Wie aber unterscheiden sich dann noch die einander doch konfrontierten politischen Systeme von Demokratie auf der einen und Autokratie auf der anderen Seite? Kunst und ihr Zusammenspiel mit Aktivismus sind, so könnte man meinen, in beiden Fällen als Form akuten Protests äußerst unerwünscht. Es sei denn, es ist ausreichend Zeit ins Land gegangen, sodass auch Aktionen wie die genannten am Ende politisch entkeimt Einzug ins Haus der Kunst halten können.

Monopol

+ Show More Articles