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"Die Kamera stellt Verbindungen her, aber sie schützt mich auch"

"Die Kamera stellt Verbindungen her, aber sie schützt mich auch"
Viviane Sassen "Eudocimus Ruber", from the series "Of Mud and Lotus", 2017
Viviane Sassen "Eudocimus Ruber", aus der Serie "Of Mud and Lotus", 2017

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Datum
18.03.2025

Fotografie

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Die Fotografin Viviane Sassen hat sich schon immer für unperfekte Körper interessiert. Hier spricht sie über ihre künstlerischen Anfänge, ihre Hassliebe zur Modewelt und die Bilderflut der Gegenwart

Viviane Sassen, Ihr Stil hat sich über die Zeit stark weiterentwickelt. Es gibt Ihre intimen Selbstporträts, surrealistische Collagen und Ihre Arbeit für die größten Modemarken und Magazine der Welt. Aber bei all dem war der Körper immer Ihr Fokus. Wie hat sich diese Beziehung zum Körper im Laufe Ihrer Karriere verändert?

Mein Vater war Arzt, daher waren der Körper und seine Funktionsweise immer ein wichtiges Thema in meinem Leben. Schon in sehr jungen Jahren hörte ich meinen Vater und meine Mutter über Menschen sprechen, die erkrankten, über Gesundheit und Tod. Als sensibles Kind mit viel Fantasie haben mich all diese Geschichten über den Körper und seine Dysfunktionen ängstlich gemacht. Ich hatte keine Angst vor meinem eigenen Körper, sondern eher Angst, dass er beschädigt werden könnte.

Gab es dafür einen bestimmten Anlass?

Als ich etwa 18 Jahre alt war, reiste ich mit einer Freundin nach Indien, wo ich sehr krank wurde und ins Krankenhaus musste. Auch meine Schwangerschaft verlief nicht reibungslos. Das verstärkte das Misstrauen in meinen Körper. Ich hatte eine fast existentielle Angst vor dem Tod und davor, dass mein Körper nicht stark genug sei. Andererseits gibt es auch viel Schönheit im Körper, und er kann viele Gefühle oder Gedanken ausdrücken. Besonders wenn man das Gesicht nicht sieht, geht es nicht mehr um eine spezifische Person, sondern es wird universeller und weniger persönlich.

Sei bezeichnen sich manchmal als Bildhauerin. Was ist für Sie die Verbindung zwischen dem Körper, einer Skulptur und Ihren Fotos?

Letztlich geht es darum, eine Verbindung mit anderen Menschen herzustellen. Für mich ist das das bedeutendste Element des Lebens. Der menschliche Körper, seine physische Präsenz, ist eine Möglichkeit für diese Verbindung. Dieses Verlangen nach Verbindung und die Faszination für den anderen kommt vor allen künstlerischen Gedanken. Einerseits gibt es meine Angst vor dem Tod und davor, allein zu sein, aber es gibt auch eine Angst vor wahrer Verbindung mit dem anderen, weil ich eine ziemlich schüchterne Person bin. Die Kamera ist für mich ein starkes Werkzeug, das mir hilft, den Menschen näherzukommen und diese Verbindung herzustellen, aber gleichzeitig schützt sie mich auch.

Die Serie "Modern Alchemy" markiert visuell einen extremen Punkt in Ihrer Arbeit - knallige Farben, Übermalungen, collagierte und fragmentierte Körper treffen auf Pflanzen und Tiere. Was wollten Sie mit dieser Serie erschaffen?

Das Projekt war eine Zusammenarbeit mit dem Philosophen Emanuele Coccia. Obwohl wir völlig unterschiedliche Hintergründe haben und ich zum Beispiel nicht gut mit Worten bin, hatten wir eine echte Verbindung. Dann stießen wir auf die alte Idee der Alchemie und den magischen Prozess, etwas Neues durch die Kombination verschiedener Elemente zu erschaffen. Es passte insofern sehr gut, als es für mich eigentlich mehr um den Prozess, das Ausprobieren und Scheitern, geht als um das Endprodukt.

Gibt es Philosophien, denen Sie folgen?

Ich kann mich für ganz unterschiedliche Philosophen und Theorien begeistern, aber am Ende lande ich immer irgendwo in der Mitte. Ich glaube nicht wirklich daran, endgültige Aussagen zu machen. Für mich geht es mehr um die Neugier, die Welt mit den Augen eines Kindes zu betrachten, ohne zu urteilen. Es ist so wichtig, manchmal einfach zwei Schritte zurückzutreten und mit Ehrfurcht zu sehen, was um uns herum ist.

Wenn wir über Offenheit, Neugier und Ihre Praxis des Collagierens sprechen, muss ich Sie nach KI fragen. Interessiert Sie das?

Überhaupt nicht, nein.

Warum nicht?

Warum sollte ich einen Computer darum bitten, etwas zu tun, während ich den Prozess, etwas selbst zu machen, so genieße? Die meisten Dinge, die ich derzeit aus der KI sehe, sind ziemlich langweilig. Man merkt, dass sie alle irgendwie aus derselben Suppe kommen. Aber ich muss sagen, es gibt einige Künstler, die unglaubliche Bilder machen, wirklich unheimliche und verstörende Sachen, und ich habe das Gefühl, dass diese Bilder viel über den verrückten overdrive unserer postmodernen Zeit aussagen. Da ich mir sicher bin, dass KI nur besser wird, denke ich natürlich darüber nach, was ich in der Zukunft tun möchte und wie ich weiterhin etwas Bedeutungsvolles schaffen kann.

Zu welchem Ergebnis kommen Sie da?

Tatsächlich kann ich mir sehr gut vorstellen, von meinen Collagen weg und zurück zur traditionellen Fotografie zu gehen. Nicht, weil ich denke, dass etwas, das mit KI gemacht wurde, keine Bedeutung hat, aber es gibt einfach zu viele Möglichkeiten. Daher kann ich mir vorstellen, dass meine Arbeit wieder konzeptueller und analoger wird.

Viel hat sich verändert, seit Sie Ende der 80er-Jahre mit der Fotografie angefangen haben. Heutzutage leben wir in einer Flut von Bildern, und ich habe das Gefühl, dass Ihre Arbeit mit der Zeit auch "verrückter" und intensiver geworden ist. Sehen Sie da eine Verbindung?

Vielleicht, ich habe das noch nie so betrachtet. Aber zum Beispiel, als ich vor etwa 13 Jahren mein erstes Buch mit meinen Modefotografien bearbeitet habe, wurde ich irgendwie müde von all den Ideen, Farben, Menschen und der Mode. Also blieb ich eine Weile in einem Dorf in Surinam mitten im Amazonas-Regenwald. Es gab keinen Strom, kein fließendes Wasser. Die Menschen dort leben auf eine sehr einfache Weise, und dort habe ich mein Buch bearbeitet, nur mit diesen kleinen analogen Fotos, die ich bei mir hatte. Kurz darauf machte ich dort auch ein ganzes Projekt, um mich auf das Wesentliche konzentrieren und das Auge und den Geist zu reinigen - keine verrückten Ideen oder Collagen, nichts. Letztes Jahr hatte ich wieder das Gefühl, dass ich irgendwie zu den basics zurückkehren wollte. Also machte ich Fotos und Videos über die Bewegung der Natur, des Wassers, der Wolken und der Schatten. Aber ohne den ganzen Wahnsinn. Ich würde sagen, fast meditativ.

Sie haben Ihre Arbeit in der Modebranche schon angesprochen. Was kann die Kunst von der Mode lernen?

Was ich an der Mode liebe, ist die Zusammenarbeit. Natürlich gibt es viel Ego in der Mode, aber sie hat auch diese großartige Energie und Gruppendynamik, die man bekommt, wenn man mit einem größeren Team zusammenarbeitet und etwas gemeinsam als Gruppe erschafft. Man kann Ergebnisse erzielen, die man allein niemals hätte schaffen können. Natürlich gibt es auch Künstler, die große Studios haben und Leute für sich arbeiten lassen, aber ich denke, bei der Mode funktioniert es anders, es gibt eine andere Art von Hierarchie. Generell habe ich diese Hass-Liebe-Beziehung zur Mode.

Wieso?

Es gibt viel Eitelkeit und Politik, was alles sehr nervig und langweilig ist, aber gleichzeitig habe ich auch mit unglaublich kreativen Menschen zusammengearbeitet.

Was bewegt Sie zurzeit?

Nun, ich denke, für uns alle ist es der Zustand der Welt. Ich habe das Gefühl, dass das Leben irgendwie beschleunigt wird. Dinge, die wir so lange als selbstverständlich angesehen haben, sind über Nacht zerstört. Der Verlust von Solidarität und Menschlichkeit macht mir große Sorgen.

Und auf künstlerischer Ebene?

Da würde ich Afrika gern wieder als Thema aufgreifen. Ich habe in den 2000er-Jahren viel dort gearbeitet, was in den Büchern "Flamboya" und "Parasomnia" mündete. Diese Werkserien wurden ziemlich bekannt und inspirierten viele junge Fotografen, was natürlich großartig ist. Dann kamen George Floyd, "Black Lives Matter" und die politische Debatte über Repräsentation und kulturelle Aneignung, und ich hatte das Gefühl, einen Schritt zurücktreten zu müssen. Es gibt eine ganze Generation von jungen afrikanischen, afroamerikanischen oder Diaspora-Fotografen und Fotografinnen, die jetzt im Rampenlicht stehen sollten, nicht ich. Aber in letzter Zeit haben mich viele dieser Menschen ermutigt, wieder dort zu fotografieren und keine Angst vor der Meinung anderer zu haben.

Haben Sie viel Kontakt zu jungen Fotografen und Fotografinnen?

Ja, manchmal melden sie sich bei mir, oder wir lernen uns durch andere Menschen kennen. Sie leben zum Beispiel im Kongo, in Ostafrika, Westafrika, Indien oder haben ihre Wurzeln dort. Ich fühle mich definitiv zu Fotografen und Fotografinnen hingezogen, die eine Verbindung zu Afrika oder dem Globalen Süden haben. Abgesehen davon, dass ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr in Kenia lebte, reiste ich oft in diese Regionen und weiß, was es für Menschen dort bedeutet, Künstler zu werden, besonders für Frauen.

Wie würden Sie die Situation beschreiben?

Es gibt zum Beispiel eine sehr interessante Person aus dem Kongo, die ich getroffen habe. Sie ist Fotografin. Nun musste sie aus der Stadt Goma fliehen, die kürzlich von Rebellen eingenommen wurde und wurde somit ein Flüchtling. Oder ein Fotograf aus Indien, mit dem ich sehr eng befreundet bin. Er stammt aus dem niedrigsten Kastensystem, was es sehr schwierig für ihn macht, Erfolg zu haben. Das sind nur zwei Beispiele von Menschen mit so viel Stärke, die mich wirklich faszinieren und bei denen ich froh bin, helfen zu können. Vor etwa drei Wochen war ich in Kenia und habe dort mit einem lokalen Team unglaublich talentierter Menschen fotografiert.
Sie wissen, was in der Fotografie und Mode weltweit passiert und haben eine sehr interessante lokale Szene, aber sie haben einfach nicht den Zugang, den wir haben. Man muss sich überlegen, wie unglaublich privilegiert wir sind, nur mit diesem Stück Papier, das wir Reisepass nennen. Für sie ist das unmöglich, Visa zu bekommen. Sie können nur online teilnehmen, oder ich komme zu ihnen.

Sie genießen auch das Privileg, mit Ihrem Werk sehr sichtbar zu sein. Was tun Sie für die nächste Generation?

Nicht genug, denke ich. Ich habe mehrere Jahre unterrichtet, aber musste damit aufhören, weil ich zu beschäftigt war. Allgemein habe ich immer das Gefühl, dass ich mein Wissen teilen oder helfen möchte. Manchmal helfe ich Fotografen oder Fotografinnen, indem ich meine Kontakte nutze. So kann ich Türen für sie öffnen, die sie selbst nicht öffnen können. Ich hoffe, dass ich, wenn ich ein bisschen älter und weniger beschäftigt bin, auch mehr Workshops und solche Dinge machen kann. Wenn es dann noch Leute gibt, die interessiert sind.

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