Monopol

"Die Stadt Twin Peaks ist die Hauptfigur"

"Die Stadt Twin Peaks ist die Hauptfigur"
"Twin Peaks", Filmstill, 1990
"Twin Peaks", Filmstill, 1990

Text
Jens Hinrichsen

Datum
12.06.2025

Film

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Mit "Twin Peaks" haben Regisseur David Lynch und Produzent Mark Frost das Fernsehen verändert. Nach dem Tod von Lynch erinnert sich Frost an ihre Zusammenarbeit – zwischen Lachen, Kaffee und kreativer Obsession

Im Januar ist David Lynch gestorben, der mit seinen surrealen Erzählungen nicht nur das Kino revolutionierte, sondern auch das Fernsehen: Die Serie "Twin Peaks" wurde von Lynch mit dem Produzenten Mark Frost entwickelt. Ein gutgelaunter 71-Jähriger meldet sich aus Kalifornien und erzählt von seiner Freundschaft zu Lynch und der Seele einer Kleinstadt namens Twin Peaks

Mark Frost, ab 13. Juni werden alle 30 Folgen von "Twin Peaks" auf Mubi verfügbar sein. Die dritte und letzte Staffel der Serie heißt "Twin Peaks: The Return". Kehren Sie auch gern ins fiktive Twin Peaks nahe der Grenze zu Kanada zurück?

Sie meinen, ob ich mir die alten Folgen anschaue? Nein. Man hat so obsessiv daran gearbeitet, dass es unnötig wäre, das wieder anzuschauen. Die Geschichten leben ja in deinem Kopf, in deiner Erinnerung. Ich würde die Serie ja ohnehin nicht für den Unterhaltungswert gucken, wissen Sie, so ist das bei mir immer gewesen. Wenn etwas beendet war, habe ich mich aufs Kommende konzentriert. Ich blicke lieber nach vorne als zurück.

Sie benutzen das Wort "obsessiv". Können Sie mir eine Vorstellung von ihrer Arbeit gemeinsam mit David Lynch an den Drehbüchern geben? War das arbeitsteilig – dass jeder seine speziellen Aufgaben hatte?

Nun, David und ich haben uns 1985 kennengelernt, unsere Arbeitsbeziehung entwickelte sich aus einer Freundschaft. Wir haben den Prozess oft beschrieben als "Lachen und Schreiben und Lachen und Schreiben", wobei wir mitunter vor Lachen kaum weitermachen konnten. Und es gab gelegentliche Pausen mit Truthahnsandwiches und einigen Tassen Kaffee. Es war eine reine Freude. Wir saßen nie grübelnd herum oder nahmen uns und die Sache zu ernst. Wir versuchten stets, neue Wege zu finden, die 'Wahrheit' über Twin Peaks herauszukitzeln und neue Dinge über die Menschen dort zu enthüllen. Aber wir wollten immer Spaß haben. Und das war vom ersten bis zum letzten Tag so.

Diese Verspieltheit bei der Stoffentwicklung, die sie schildern, steht etwas im Kontrast zu meiner Idee von "Twin Peaks" und seiner albtraumhaften Atmosphäre. Wie sehen ihre persönlichen Albträume aus?

Oh, ich hatte letzte Nacht einen, warten Sie...Ich versuchte, eine Filmvorführung zu organisieren, und der Film änderte sich ständig; die Größe der Leinwand, das Format wechselten, sogar der Film selbst sprang von Schwarz-weiß zu Farbe und von einer Fremdsprache zur anderen. Völlig verrückt. Wir bekamen den Ablauf einfach nicht reibungslos hin! Das ist ein bisschen wie mit der Kreativität, wissen Sie, man versucht immer, die Pferde in den Stall zu kriegen [Anmerkung: "Trying to get the horses in the barn" bedeutet, eine Sache unter Kontrolle zu bringen], und manchmal haben die Pferde ihren eigenen Kopf.

Aber wenn wir über die Arbeitsteilung sprechen: War David der Mann für die Albträume, und Sie hatten andere Prioritäten?

Nein, alles, was Sie in der Serie sehen, ist das Ergebnis davon, dass wir beide unsere Imaginationen zusammenbrachten und sie quasi miteinander Tennis spielen ließen. Keiner von uns hatte je zuvor oder danach auf diese Art mit jemandem zusammengearbeitet. Es war also eine einzigartige Beziehung. Und ich denke, das Werk, das daraus entstanden ist, gilt heute, 40 Jahre später, als einzigartig.

Wenn es je eine Kultserie gegeben hat, dann diese!

Ja, das war sie, und sie spiegelte beide Persönlichkeiten wider. Also, wenn Sie es jetzt ganz genau wissen wollen: Ich war der Wortmensch, David war der visuelle Typ. Er kam aus der bildenden Kunst, ich aus dem Theater und der Literatur und schließlich aus dem Fernsehen – das traditionell eher ein Medium der Schreibenden ist als der Film. Und so haben wir das Ding gedreht, wissen Sie. Für mich war die Arbeit mit dem Schreiben erledigt – abgesehen davon, dass ich auch Produzent war und der Showrunner [der Hauptverantwortliche, der 'Kopf' einer Serie], aber die Regie, das war Davids Angelegenheit, da habe ich mich nicht eingemischt. Seine Vision als Regisseur war so umfassend, sein Beherrschen des Mediums so universell, dass es einfach eine Freude war, am Set zu sein und ihm zuzusehen.

Weil sie beides kennen: Was ist der Unterschied zwischen dem Schreiben einer Serie und einem Filmscript?

Wie eben gesagt, Fernsehen ist stärker vom Schreiben abhängig und traditionell nicht für cineastische Werte bekannt, weil es meist mit knappen Budgets und unter Zeitdruck produziert wurde. Ich denke, wir waren die Ersten, die versuchten, Kinoqualität ins Fernsehen zu bringen. Wir waren beide Cineasten, kannten uns sehr gut in der Filmgeschichte aus und wollten etwas Bleibendes schaffen. Die meisten Fernsehserien sind Wegwerfware – zumindest war das so, bis wir beide anfingen. Statt TV-Fast-Food wollten David und ich eine nahrhafte Mahlzeit servieren...

Der Arbeitstitel der Serie war "Northwest Passage". So heißt auch ein US-Roman über eine britische Kolonialtruppe im sogenannten Franzosen- und Indianerkrieg 1759. Die beeindruckende Verfilmung von 1940 habe ich 2020 auf der Berlinale-Retrospektive gesehen, die dem Regisseur King Vidor gewidmet war.

Ja, der Film war eine Referenz für uns. Ursprünglich hatten wir uns noch nicht auf den pazifischen Nordwesten als Schauplatz festgelegt. Wir dachten zunächst an die Dakotas oder die nördlichen Ebenen. Wir kannten beide King Vidors Film, und er war damals auch weitgehend vergessen, aber wir durften den Titel wegen des alten Films nicht verwenden.

Der Titel war aus urheberrechtlichen Gründen gesperrt?

Genau, und das war seltsam. Normalerweise kann man einen Titel nicht urheberrechtlich schützen. Viele Filmtitel wurden mehrfach verwendet, doch uns wurde geraten, einen anderen Titel zu wählen. Okay, wir überlegten also. Eines Tages saßen David und ich beim Mittagessen. Es war eine frühe Phase der, ich nenne es mal so, Stadtplanung. David skizzierte eine Karte auf der Rückseite eines Platzsets im Café. Das ist heute ein legendäres Artefakt. Jedenfalls, als wir die wichtigen Gebäude platzierten, die Straßen und die Topografie anlegten, fiel mir auf: Oh, wir haben auf beiden Seiten des kleinen Tals jeweils einen Berg. Warum nennen wir es nicht Twin Peaks?

Interessant, so entstand der berühmte Titel! Um auf "Northwest Passage" zurückzukommen: Meine Idee war, dass, wenn der Romanstoff von einer Expedition handelt, könnte die Stadt Twin Peaks eher einer Seelenlandschaft entsprechen, die wir gemeinsam erkunden.

Da stimme ich zu. Für mich ist die Stadt selbst die Hauptfigur der Serie, und die Menschen repräsentieren jeweils eine bestimmte Eigenschaft im gesellschaftlichen Körper von Twin Peaks. Uns interessierte das Schicksal, die Entwicklung, die Geschichte und die Evolution dieser Stadt. Das wurde zum Hauptanliegen: eine Geschichte über eine Kleinstadt zu erzählen, aber im Großen und Ganzen auch Aussagen über die Nation zu treffen. Es geht um das Leben selbst und darum, wie Menschen leben und sich in sozialen Einheiten organisieren. Und dann um die Frage: Was passiert, wenn plötzlich das Dunkle, das Böse auftaucht, das nun mal zur menschlichen Existenz dazugehört. Wie reagiert die Stadt? Twin Peaks ist wie der Körper des Charakters, dessen Geschichte wir erzählen. Kann die Stadt der Korrosion, dem moralischen Verfall standhalten, und hält sie das Wissen um ihre Endlichkeit aus? Jedes Lebewesen stirbt, das ist nun mal so...Damit habe ich Ihnen einen wichtigen Aspekt umschrieben, den jedenfalls ich immer im Auge hatte.

"Twin Peaks" hat auch Aspekte der Seifenoper, natürlich sehr dosiert und sarkastisch verdreht. Mögen Sie solche TV-Formate oder hassen Sie sie?

Ich gucke sowas nicht. Meine Schwester Lindsay ist tatsächlich vier Jahre lang in einer berühmten Soap aufgetreten. ["As the World Turns"] Ich erinnere mich nicht auch nur eine einzige Folge gesehen zu haben. Seifenopern sind tödlich. Ich halte das keine 30 Sekunden aus. Damals gab es im Fernsehen eine Vorliebe für sogenannte 'Nighttime Soaps'. Die waren in den 1980ern schon ein Klischee, und es gab viele wirklich schlechte Beispiele. David Lynch und ich dachten also: Sollen die Leute ruhig denken, dass sie das bekommen. "Twin Peaks" wurde zum trojanischen Pferd, in dem wir all die Dinge verstecken konnten, die uns am Herzen lagen. Ich hatte fürs Fernsehen gearbeitet und das Medium wirklich begriffen. Aus diesen Skills wollte ich etwas Subversives machen, die Konventionen sprengen und sehen, womit man durchkommen kann. Und David sagte: "Ich bin dabei. Lass es uns versuchen". Er hatte auf diesem Feld nicht so viel Erfahrung wie ich. Er kam aus der bildenden Kunst, der Feder- und Tuschzeichnung, der Malerei und dieser ganzen Tradition, die sich doch sehr vom Bewegtbild unterscheidet. Aber es war auch ein konsequenter Schritt für ihn. Seine Gemälde begannen mit ihm zu sprechen; also sagte er: "Ich muss diese Dinge in Bewegung bringen".

Sprechen wir noch etwas über Kunst. Haben Sie sich schon vorher über bildende Kunst interessiert, oder kam das erst mit der Freundschaft zu David?

Ich hatte mich schon vorher intensiv mit Kunst beschäftigt, weil es ein wichtiger Teil der Theaterarbeit ist, und natürlich auch des filmischen Erzählens. Man muss durch Kunstwerke lernen, wie man im Filmmedium Dinge visuell ausdrückt, wie man es im Prosatext nicht kann. Man kann sie beschreiben, aber Worte haben nicht die gleiche Kraft wie ein Bild. Ich war also immer an beidem interessiert, an Texten und an Bildern, und ich wurde selbst Regisseur, um dieses Terrain zu erforschen.

Sie waren auch an der Serie "Hill Street Blues" in den 1980er-Jahren als Drehbuchautor und Executive Story Editor beteiligt. Die Serie lief unter dem Titel "Polizeirevier Hill Street" auch in Deutschland sehr erfolgreich: eine Pionierserie des Qualitätsfernsehens…

Ja, "Hill Street" war in vielerlei Hinsicht eine bahnbrechende Serie, und ich habe dort viel für meine später Arbeit gelernt. Die Idee zu der Serie kam von Steven Bochco, der ein wunderbarer Mentor für mich wurde. Er ließ mich am gesamten Prozess teilhaben, nicht nur als Autor, sondern auch als angehenden Produzenten und Regisseur. Ich hatte, wie Orson Welles das Filmemachen nannte, die größte Modelleisenbahn der Welt zum Spielen. Und bei "Hill Street" habe ich gelernt, wie man die Weichen stellt.

"Twin Peaks" hat ja ebenso Züge einer Detektivgeschichte. Es gibt Ermittler, allen voran Special Agent Cooper. Die Catchphrase lautet: Wer hat Laura Palmer getötet?

So ist es. Ich bin mit Krimis und Detektivgeschichten aufgewachsen. Leser, Zuschauer, alle, die eine Geschichte aufnehmen, brauchen einen Grund zum Weiterlesen und Weiterschauen, sonst steigen sie aus. Man muss dem TV-Publikum einen Grund geben, den Kasten nicht beim nächsten Werbeblock auszuschalten. Daher kamen wir früh auf die Idee, den Tod von Laura Palmer als unser geheimes Tor in die Stadt zu nutzen. Ich stellte überrascht fest, dass dieser Kniff gar nicht so gängig war, eigentlich ist es doch der perfekte Weg, die Figuren einzuführen und sie über ihre Beziehungen zur Toten zu charakterisieren. Agatha Christie hat das in ihren Büchern zum Teil so gemacht, aber sehr nach 'Schema F'. Immerhin ist das der Grund, warum Christie über viele Jahre die meistgelesene Autorin der Welt war: Jeder liebt das Mysteriöse. Ja, das ist es. Das Leben selbst ist ein Mysterium.

Es geht in fantastischen Geschichten, wahrscheinlich beim Erzählen überhaupt, ja immer um die "Suspension of Disbelief" – dass das Publikum trotz aller Unwahrscheinlichkeiten mitgeht. Überlegt man sich das rational: Wie kann ich die Skepsis aushebeln? Mit welchen Mitteln halte ich die Zuschauenden bei der Stange?

Das funktionierte intuitiv. Zu dem Zeitpunkt hatten wir beide schon so lange im Film- beziehungsweise Fernsehgeschäft gearbeitet, dass wir eine gewisse Routine hatten, bei der die Methodik einfach verinnerlicht ist. Das Publikum zu packen, die Fesselungskunst wird einem zur zweiten Natur. Warum sollten die Leute sonst dranbleiben?

Als Kultserie wurde "Twin Peaks" von Fanzines wie "Wrapped in Plastic" begleitet, die lauter Theorien vom Stapel ließen, etwa darüber, was die rätselhaften Zahlen auf Telefonmasten bedeuten oder der Red Room. Was verbirgt sich hinter solchen Rätseln?

Ganz einfach: Der Spaß, den es macht, sich sowas auszudenken. Man beschäftigt das Publikum. Damals gab es noch nicht den Begriff 'Easter Eggs' für versteckte Hinweise, die den Zuschauern ein freudiges Wiedererkennen bescheren, wenn sie die Anspielung verstehen oder zu verstehen meinen. Ich habe schon in der ersten Staffel angefangen, solche Sachen regelmäßig in die Drehbücher einzubauen. Ich dachte, vielleicht merkt es niemand, aber es machte mir Freude.

Können Sie Beispiele nennen?

Nun, es gab bestimmte Namen, die wir benutzten, manchmal als Anspielung auf den Film Noir, in dessen Fahrwasser wir uns offensichtlich bewegten. Und es gab visuelle Hinweise, die wir hinterließen. Manchmal bedeuteten sie gar nichts, aber wir entschieden früh, dass wir das machen und niemals erklären würden. Das Publikum würde schon Erklärungen finden. Man vertraut darauf, dass das Publikum mit dem Werk interagiert und eigene Schlüsse zieht. Wer ein Bild malt und an die Wand hängt, klebt ja auch keine Liste mit möglichen Bedeutungen daneben.

Einer der vieldiskutierten und -analysierten Sätze aus "Twin Peaks" lautet "The owls are not what they seem". Den Spruch habe ich eigentlich nie hinterfragt, denn die Dinge sind eben nie, wie sie scheinen, das trifft wahrscheinlich auch für Eulen zu. Aber sagen Sie mir doch bitte noch schnell, was "The gum you like is back in style" bedeutet?

Sagen Sie es mir! Ich schweige wie ein Grab.

Okay, ich denke noch mal darüber nach.

Schicken Sie mir eine E-Mail, wenn Sie es wissen.

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