Monopol

Das Gegenteil von Melonis Italien

Das Gegenteil von Melonis Italien
Louis Fratino "Satura", Installationsansicht Centro Pecci, Prato, 2024
Louis Fratino "Satura", Installationsansicht Centro Pecci, Prato, 2024

Nach seinem spektakulären Auftritt auf der Venedig-Biennale zeigt der US-Maler Louis Fratino nun seine zweite große Schau in Italien. Im Land seiner Vorfahren muss man seine opulenten queeren Bilder besonders politisch lesen

Louis Fratinos italienischer Nachname stammt aus Molise, einer eher wenig bekannten Region Italiens. Der US-amerikanische Maler, geboren 1993 in Maryland, hat ihn von seinem Urgroßvater geerbt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten emigrierte. Doch das ist nur einer der Stränge, die den Künstler mit dem "Bel Paese" verbinden.

Fratino hat in den letzten Jahren eine Begeisterung für die Kultur Italiens entwickelt, das Land ist eine seiner deutlichsten kulturellen Referenzen. Fratino fühlte sich einigen in der Heimat seiner Vorfahren entdecken Werken so verbunden, dass er sich mit der Kunst, dem Kino und Literatur tiefgreifender auseinandersetzte. Seine Werke würden sich wunderbar neben seinen Inspirationsquellen einreihen lassen, und so scheint es nur folgerichtig, dass seine erste institutionelle Solo-Ausstellung "Satura" in der italienischen Stadt Prato in der Toskana gezeigt wird.

Viele Bilder, die die Besuchenden im Centro per l’Arte Contemporanea Luigi Pecci erwarten, verbindet ein besonderes Licht und typische, aber personalisierte italienische Zustände. Nichtstun am Strand, ein reich gedeckter Tisch im Abendsonnenschein oder ein Aperitivo in einer Bar in Mailand.

Statement gegen die Einschränkungen

Doch das ist nicht der einzige rote Faden der Schau, die in einem langgezogenen Saal mehr als 30 Gemälde und 20 Zeichnungen des Künstlers beherbergt. Das erste Werk "Blowjob and Moon" von 2019 zeigt genau das, was sein Titel verspricht - und steht für Fratinos so gar nicht traditionell italienische, weil schamlos offene Auseinandersetzung mit Queerness und Sexualität.

Das Gemälde hat nur wenige Zentimeter Durchmesser, es wurde auf den Deckel eines Schächtelchens gemalt, und ist doch ein deutliches Statement. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schränkt seit ihrem Amtsantritt die Rechte queerer Menschen immer weiter ein, sprach kürzlich gleichgeschlechtlichen Paaren ab, Geburtsurkunden ihrer Kinder besitzen zu dürfen. Was sich in anderen europäischen Ländern immer alltäglicher anfühlt, wird in Italien noch immer, und seit Meloni immer mehr, aussortiert. Auch dieser Aspekt muss bei der Betrachtung von Fratinos Italien mit einbezogen werden, einer Version, in der er sich dieser Einschränkungen widersetzt.

Die von Stefano Collicelli Cagol, dem Direktor des Centro Pecci, kuratierte Ausstellung findet als Teil des Museums-Jahresprogramms "Toskana im Zentrum" statt. Sie folgt auf die von der Kritik gefeierte Präsentation Fratinos in der Hauptausstellung der diesjährigen Biennale in Venedig.

Ein gesättigtes Werk

Die Verbindungen in die Region sind also gerade besonders zahlreich: Die italienischen Künstler Filippo De Pisis, Mario Mafai, Costantino Nivola, Felice Casorati, Carlo Carrà, Fausto Pirandello und Guglielmo Janni sollen Fratinos in Prato ausgestellte Werke inspiriert haben. Außerdem Gedichte von Sandro Penna, Patrizia Cavalli und Pier Paolo Pasolini oder Essays des italienischen Schwulenaktivisten Mario Mieli. Daneben natürlich seine Familie und nicht zuletzt seine eigenen Erfahrungen. Eine Fülle an Einflüssen.

"Satura" bedeutet im Italienischen wörtlich "gesättigt", oder "satt". Das Spektrum an Disziplinen und die Quantität der Werke, die Fratino zeigt, jedoch auch sein Eintauchen in reiche Farben und die fast überquellenden Leinwände spiegeln den Titel wider. Sie machen es möglich, seine italienischen Erlebnisse und Emotionen auf unterschiedlichen Ebenen kennenzulernen.

Das Gemälde "Monte Cristo" (2020) zum Beispiel lebt von dem goldgelben Licht, das durch geöffneten Fensterläden fällt. Auf der dargestellten Fensterbank liegen eine vielleicht trocknende Badehose, ein Bleistift, ein Buch mit Gedichten von Frank O’Hara. Draußen erkennt man angestrahlte Blätter, die Kuppe eines Berges im Hintergrund, ein fast glühendes Strahlen erobert das Zimmer. Am Horizont ein rosaroter Streif, in dem die Insel Montechristo zu erspähen ist.

So roh und so nah

Dieses Werk vereint alle Aspekte, in denen sich der Künstler mit Italien auseinandersetzte, wie es Collicelli Cagol in seinem Essay "Satura – Louis Fratino and Italy" erklärt. Seine Liebe für die Landschaften und daraus entstehende Lichtspiele, die er auf der Leinwand einzufangen vermag. Nacktheit, die durch die abgelegten Shorts angedeutet wird. Der Stift, der seine Passion für das Zeichnen aufzeigt, wo auch immer er ist.

Jedes Werk der Ausstellung lädt ein, länger davor zu verweilen. Jedes Detail gibt Einblicke in den Kosmos, in dem Louis Fratino sich befand, als das Gemälde oder die Zeichnung entstand. Explizite Szenen von schwulen Männern, die sich nach dem Geschlechtsverkehr waschen ("Washing in the Sink", 2023), sich nackt in einem Boot räkeln ("Ginone", 2020) und Sex haben ("Kiss", 2023 ). Auch dies einer der Bereiche, die der Künstler mit seinem Italien verbindet.

Den Sommer 2019 verbachte Fratino am Tyrrhenischen Meer. "Ginone" verdeutlicht das Einnehmen von Raum als nackte Körper, die Freude daran, die Welt zusammen zu erleben. Die italienische Umgebung verleiht den homoerotischen Szenen einen poetischen Kontext, die Werke erinnern durch das verwöhnende Licht und träumerischen Hintergründe nicht selten an Luca Guadagninos "Call Me By Your Name" (2017). Ein romantisches Erwachen, eine Befreiung, schamlos, normalisiert und eingebettet in die Suche nach Schönheit in jedem Bild. Viele der Gemälde sind offene Einblicke in Fratinos Privat- und Liebesleben, aus seiner Erinnerung entstanden. So roh und nah, als Foto vielleicht zu aufdringlich, durch den Filter der Pinselstriche eine angenehm anzusehende Annäherung.

Zitate der queeren Moderne

Fratinos Stillleben und die im Museum entstandenen Studien sind nicht weniger persönlich oder emotional. Erlebte Momentaufnahmen, Alltagsbilder, die sich durch eine geschärfte Aufmerksamkeit in Kunstwerke verwandeln. Schnittblumen im Waschbecken ("Hydrangea aspera, kitchen sink", 2024), herangezoomte Marktszenen ("Fish market" 2020), und viele gedeckte Tische, verlassene, lange Tafeln, Momentaufnahmen zwischen Blumenstrauß, abgelegter Brille und leeren Weingläsern. Jedes Werk lässt Platz für eigene Interpretation, Vorgeschichte, Weiterführung.

"You and your things" (2022) ist wohl eine der Malereien, vor der ein aufmerksamer Besucher am längsten verharrt. Ein junger Mann (Fratinos Freund, wie man aus dem Katalog von "Mousse Publications" erfährt) liegt nackt auf einem Sofa. Zu seinen Waden der kleine, zusammengerollte Hund des Malers, Marge. Davor ein Couchtisch, bedeckt von Blumen in Vasen, Schalen mit Mandarinen und anderem Obst. Ein modernes Stillleben, das wohl jeder so in wenigen Minuten bei sich zuhause arrangieren könnte. Ein halbvoller Kaffeebecher, eine halbe Banane, eine Birne, Artischocken, Stift, Briefumschlag, Bücher und eine Tasse Tee. Eine so alltägliche und doch so ergreifende Szene, der Blick des Mannes auf den Betrachter, oder auch den Maler gerichtet.

Auffällig sticht das Magazin "Fuori" zwischen all den Objekten heraus. Ein Akronym für Fronte Unitario Omosessuale Rivoluzionario Italiano, eine ursprünglich marxistische Vereinigung aus den 1970er-Jahren, die sich dem Kampf für die Rechte von Schwulen widmete und bis zum Jahr 1982 auch eine gleichnamige Zeitschrift herausgab. Zitate aus der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, mit offen queerem Fokus, sind ein Markenzeichen Louis Fratinos.

Ein queerer Futurismus des 21. Jahrhunderts

Am Ende öffnet sich der gangförmige Raum, und es wartet eine hölzerne Wand mit kleineren Grafitzeichnungen. Manche erinnern an Vorstudien zu den Gemälden, die man auf dem Weg dorthin begutachten konnte. Daneben feine Selbstporträts und fast surreale, abstrakte Illustrationen.

Umgeben von den sehnsüchtigen, großflächigen Bildern wirken sie in ihren dunkleren Farbtönen melancholisch, wie etwa "Moon over the Gulf of Genoa" (2020). Eine Reise durch Italien, erlebt durch die Linse eines Künstlers, der seine eigenen Ansätze in dieses traditionsreiche Land überführt. Ein queerer Futurismus des 21. Jahrhunderts, den man, gerade in dem Setting der toskanischen Hügel, nicht verpassen sollte.

Monopol

+ weitere Artikel anzeigen